Vorschau  April - Mai

 

 

Worte zur Ausstellung

 

Fragmentum (lat.) heißt so viel wie Bruchstück, Teil oder eben Teil eines übergeordneten Ganzen oder eines Zusammenhangs. Der Titel unserer heute zu eröffnenden Ausstellung mit Arbeiten des Malers und Bildregisseurs Jan Mövius lautet Fragment.Mensch.

 

Wir Menschen sind das seltsame Geschöpf der Natur, das mit sich vertraut ist, das meint in allem was es tut zu wissen was es tut und trotzdem ständig nach dem Sinne fragt.

 

Wir haben ein oft sehr gesundes Selbstvertrauen aber hinterfragen geplagt von Selbstzweifel ständig auch uns selbst.

 

In seinen Bildern will der Künstler nicht  den Menschen als isoliertes Individuum abbilden und hinterfragen, sondern untersucht mit Pinsel, Konstruktion und versteckten Geheimissen die konkreten menschlichen Bezüge, die Interaktion mit anderen Individuen. So auch Jan Mövius in seinen Arbeiten.

Der Mensch wandert schon seit seiner Existenz durch die Welt auf der Suche nach einer zusammenhängenden, ewig Wahrheit, die Bestand hat, vor tausend Jahren hatte und in tausend Jahren haben wird.

 

Aber was ihn dabei verzweifeln lässt ist die Erkenntnis, dass er immer nur Bruchstücke seines Daseins erkennt, eben immer nur das Fragmentarische unserer Existenz.

 

Viele Menschen treibt das in  den Wahnsinn, viele kapitulieren bei ihrer Suche nach dieser ewigen Wahrheit, vielen werden gleichgültig, schalten ab überlassen es Anderen für sie diese Wahrheit zu finden. Die Wahrheit die Goethe einmal mit dem bekannten Vers in seinem Faust auf den Punkt gebracht hat:

 

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab' ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund;

Dass ich nicht mehr mit sauerem Schweiß

zu sagen brauche, was ich nicht weiß:

Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.

 

Und weil die Welt, genau wie der Mensch nur in Teilen – in Fragmenten- zu erkennen ist, ist diesem Fragment der Mangel eingeschrieben. Dieser Mangel ist das Unvollkommene oder der Überfluss den Kunst erzeugen kann. Scheinbar nicht ins Bild passendes wird dadurch zu einer Geschichte, erzählt vom Künstler und seiner unerschöpflichen Phantasie. Gegen den Zwang zur Vollkommenheit, zur Harmonie, zu einer Welt ohne Widersprüche, die sich gegeneinander reiben.

 

Sehnsüchte, Brüche und Risse im Leben sind das Fragmentarische, nicht die Harmonie. Sie anzustreben ist unsere Suche bis ans Ende der Tage.

Dagegen immer wieder ein neues, scheinbar unpassendes Detail zu erfinden, ist tägliche Schöpfung der Kunst. In den farbkräftigen Arbeiten von Jan Mövius finden wir diese Fragmente in den Fragen, die seine Porträts ausstrahlen, die Augen, die uns suchend anschauen, die Gesichter, die von einem Ausdruck des Suchens und der Hoffnung gezeichnet sind.

 

Ob der Regisseur im Theater, der Choreograf mit seinem Ballett, oder der Maler auf seiner Leinwand, sie alle fügen mit ihrer Kunst immer wieder neue Elemente der Erkenntnis aus dem unerschöpflichen Reservoir der Phantasie zu unserem Alltag hinzu und erschaffen so neues, unverwechselbares immer wieder zu neuer Betrachtung provozierendes Bild der Welt.

 

Jan Mövius erzählt in seinen Bildern fiktive Geschichten, die scheinbar dem Alltag entlehnt sind und doch irgendwie der Realität entrückt. Die oft durch Requisiten und fremde Elemente collagiert wirkenden Arbeiten, erhöht Mövius dadurch zu Figuren einen künstlichen Welt, die uns allesamt eine Geschichte erzählen wollen.

Der Mensch ist kein Wesen der Fülle, der Vollkommenheit, sondern er ist ein Wesen des Mangels. Dieser Mangel ob an Wissen, Erkenntnis oder Erleuchtung führt uns immer tiefer hinein in die Welt auf der Suche, nachdem was sie im Inneren zusammenhält. Nobody -und wirklich keiner- is  perfect.

Der Druck, «alles ja richtig zu machen und ja super auszusehen» ist in den Medien omnipräsent. Vor allem die Modebranche gießt Öl ins Feuer des Verlangens nach Perfektion. Und wenn es den Umsatz befördert und Kunden generiert, sind Models auch mal Kingsize und Megaqueer….bis zur nächsten Welle.

Diesen ganzen Firlefanz brauch Kunst nicht. Wenn Jan Mövius malt, ist er in einer anderen Welt. Er erkennt, er komponiert Farben, Formen und Gestalten neu, er ordnet und zerstört, bring durcheinander und fügt zusammen, was vielleicht auch gerade nicht zusammengehört.

 

Er versteht sich nach eigenen Worten mehr als Regisseur auf der Bühne seiner Geschichten, auch als Zauberer, der Welten erschafft, die es so nicht gibt und damit vielleicht uns gibt, was wir suchen:

 

Neue Bilder einer neuen Welt. Andere Bilder einer veränderten Welt. Einer Welt, die Geschichten fabriziert die uns eines zeigen: Unsere Welt braucht keine Herrscher, die uns vermitteln im Besitz der ewigen Wahrheit zu sein.

 

In den Arbeiten von Jan Mövius sehen wir diese Prozessen der Annäherung an Figuren des Alltags.

 

Unser Leben bleibt unvollkommen. Und vier Dinge werden uns Menschen wohl immer bei unserer Suche begleiten:

 

Das sind die Liebe, der Kampf, das Spiel und die Sterblichkeit.

Und vielleicht haben wir hinter dem Schleier und Geheimnis jeder Kunst erkannt und wussten es wohl schon immer:

 

Die Liebe ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält.

 

(Michael Pommerening, April 2024)

 

Worte zu den Arbeiten von A.Schauss

 

Eine Begegnung im Alltag, in den Wirren der Großstadt erscheint oft zufällig, ungewollt, unangenehm. Oft gehen wir einer Begegnung aus dem Weg, wir haben anders geplant, keine Zeit für diesen immer wieder spannenden Augenblick auf das Unerwartete zu stoßen, uns damit zu beschäftigen.

Wir haben keine Zeit, keine Lust, keine Kraft uns immerwährend mit diesen Begegnungen, den verschiedenen Weltbildern, Ansichten und Gefühlen auseinanderzusetzen.

 

Die Anonymität der Großstadt bildet da einen besonderen Schmelztiegel dieser Oberflächlichkeiten ab. Diese aber nur scheinbare Oberflächlichkeit ist notwendig, weil in einer Zeit der Überflutung mit Reizen und Botschaften, die menschliche Auffassungsgabe oft bis an den Rand gefüllt und die Angst groß ist, darin zu ertrinken.

 

Nase in die Höhe oder ganz tief nach unten und verlieren uns in den Weiter des World Wide Web. Ihm vertrauen wir unsere Wünsche, Hoffnungen und Ängste an. Über diesen kleinen Communicator verlieben wir uns, treffen wir uns, trennen wir uns. Mit einem Klick in die Anonymität und gleichzeitig in die weite Welt.

 

Diese Großstadt mit ihren Menschen und deren versteckten Hoffnungen und Ängsten bildet die Künstlerin Annett Schauss in ihren Arbeiten ab. Es sind die schemenhaften Häuserschluchten und Fassaden durch die ihre Protagonisten eilen, sich begegnen und manchmal auch verweilen.

 

In ihren Bildern erzählt sie ihre Geschichten. Geschichten von Menschen in der großen Stadt, dem Verkehr und oft dem Chaos, den Geräuschen, den Situationen, die oft wirken als begegneten sich die Menschen auf einer Theaterbühne.

 

Die Stadt ist unbestritten der Lebensraum der Zukunft. Auf nur zwei Prozent der Weltoberfläche beherbergen die Städte rund die Hälfte der Weltbevölkerung – bis zum Jahr 2050 wahrscheinlich sogar mehr als zwei Drittel.

 

Die Stadt, geprägt durch Beton, Asphalt und Glas, erscheint dabei geradezu als der Inbegriff der Un-Natürlichkeit. Aber die Stadt hat eben  auch ihren ganz eigenen Charme. Sie erstaunt, begeistert durch ihren ewigen Wechsel zwischen Ruhe und Rastlosigkeit, zwischen den Spuren der Geschichte und leuchtenden Glasfassaden und wenn man genau hinschaut auch den vielen kleinen Fenstern, die einen Blick in unsere Vergangenheit zulassen.

 

Und  genau diese Ambivalenz bildet Anett Schauss in ihren Bildern ab. Die Künstlerin ist in der Mitte dieser großen Stadt aufgewachsen. Hat mit den schrägen Vögeln an Stammtischen gesessen, mit den Künstlern die Galerien in den Hinterhöfen besucht, stundenlang beobachtet, skizziert und das ganze pralle Leben zwischen Brandenburger Tor und Oranienburger Straße live erlebt – auch den Wechsel zwischen dem morbiden Charme vergangener Zeiten und dem neuen Chic einer oft seelenlosen Ästhetik.

 

All das können wir in ihren Arbeiten miterleben.

In den Bildern dieser lebendigen Stadt treffen Arme und Reiche, Heimische und Fremde, Alte und Junge unmittelbar und unwillkürlich aufeinander. Dadurch, dass einem der Andere im Stadtraum begegnen, ist ein erster notwendiger Schritt zu ihrer Anerkennung und damit zu gesellschaftlicher Solidarität getan.

Ein flüchtiges Lächeln, eine beiläufige Geste der  Begrüßung, der Aufbau einer Kommunikation, all das zeichnet die Begegnung in den Schluchten der Großstadt aus. Sie  ist das große Geheimnis sozialer Kompetenz. Es ist eine Kunst, aus Fremdheit – Bekanntheit und aus Differenz eine gemeinsame Ebene aufzubauen.

 

Diese vielfältigen Beziehungen und Momente der Begegnung sind das Klima, sind die Substanz, aus der neue Formen des Zusammenlebens entstehen. Diese permanente Erzeugung von Neugier auf das Fremde, das Unbekannte, das Leben,  bestimmen die Beziehungen der Menschen untereinander. Bestimmen ihre Formen des Zusammenlebens, ihre Formen der Liebe und Sexualität, der Rücksicht, der Vielfalt und letztlich auch eine ganz bestimmte Form der Glücksempfindung, die wir Menschen brauchen wie die Biene den Nektar zum Leben. In alten Zeiten gab es dafür auf dem Dorf das Wirtshaus, zum Bier nach dem Kirchbesuch, zum Umtrunk nach der Beerdigung, zum Tanz am Wochenende.

 

Warum haben wir diese Orte der Begegnung einschlafen lassen ? Keine hat sie uns weggenommen, wir haben sie einfach vergessen.

 

Wer diese Neugier auf Neues, Fremdes bisher Ungesehenes und Unerfahrenes nicht mit einer gewissen auch kindlichen Naivität begegnen kann, wer das ablehnt, wer gar Hass und Zwietracht sät wird am Ende seiner Tage ärmer sein, oft einsam und verlassen.

 

Auch damit das nicht passiert, haben wir die Kunst. Sie zeigt uns die Wege zu mehr Menschlichkeit, zu mehr Entdeckerfreude, zum mehr tolerantem Miteinander, zu mehr Phantasie und Empathie. Wir haben nur diese eine Welt, nur diese Menschen, die unsere Mitmenschen sind, nur diese eine Chance der Begegnung.

 

Lassen wir die Chance nicht achtlos auf der Straße liegen. Und ob in der großen Stadt und dem kleinsten Dorf, überall soll gelten: Packen wir diese Chance an. Es lohnt sich.

 

 

Michael Pommerening

März 2024 Regenmantel

Gedanken zur Kunst von L.Thomas

 

 

Heute eröffnen wir die Ausstellung Nr.72 mit Arbeiten von Lothar Thomas. Mit dieser Ausstellung starten wir ein neues Projekt:

 

                      Eine Galerie. Ein Künstler. Ein Jahr.

 

Für ein Jahr geben wir einem Künstler die Möglichkeit die Galerie TRAFO.3 in Reitwein für diesen Zeitraum als sein künstlerisches Zuhause kostenfrei zu nutzen. Die ruhige und von Hektik freie Landschaft und Natur erlauben einen ganz besonderen Zugriff auf die Natur, Landschaft und die Menschen der Region. In ihrem künstlerischen Schaffen kreieren die Künstler hier ein ganz besonderes Verhältnis zu dieser Region, welches sich in ihren Werken wiederspiegeln wird.

 

Mit der aktuellen Ausstellung entführt uns nun Lothar Thomas in die Welt der Zeichen, Runen und Symbole. Wie jeder ernsthafte Künstler macht auch Lothar Thomas sich auf den Weg der Erkenntnis, der Deutung. In seinen Arbeiten findet sich die ewige Suche der Menschen nach Sinn und Bedeutung, letztlich nach Erkenntnis.

 

Die ersten Zeichen finden wir in den Steinzeithöhlen, wie der in Lascaux. Diese Zeichen und Runen haben die Menschen in Stein geritzt um sich Dinge, die sie sich nicht erklären konnten, festzuhalten und damit zum Teil auch zu entmythologisieren.  Da das Wort Rune „Geheimnis“ bedeutet, wurde der Runenschrift an sich dadurch eine magische Aura zugeschrieben.

Das sogenannte germanische Futhark, welches seinen Namen von den ersten sechs Runen der damaligen Runenfolge hatte, gibt es in den verschiedensten Formen. Diese meist 24 Zeichen sind ab Mitte des 1. Jahrhunderts entstanden. Die eckigen Formen sind ein typisches Merkmal der Runen, die in Holz, Stein oder Metall geritzt wurden, um als Botschaften an die Nachwelt erhalten zu bleiben. Jedem einzelnen Runenzeichen werden besondere Eigenschaften, zugeschrieben, die bis heute ihren Wert für die Wahrsagerei und die Meditation ausmachen.

 

Es gibt die These, dass Christen durch das Zeichnen einer geschwungenen Linie in den Sand prüfen konnten, ob das Gegenüber auch ein Christ war. Ergänzte das Gegenüber die erste geschwungene Linie mit einer zweiten, umgekehrten Linie zu einem Fisch (Ichthys), so hatte man sich gegenseitig als Christen identifiziert. Dieses Symbol hat sich bis heute gehalten und ziert oft Heckscheiben von Autos.

 

Unsere heutige Zeit verliert sich gerade im Chaos der Dinge und Prozesse. Um so mehr erstarkt die Sehnsucht, einen Sinne in diese Unordnung zu bringen. Wir erschaffen uns Zeichen und Symbole, um einen Weg durch das tägliche Chaos zu finden.

 

Lothar Thomas arbeitet in seinen Kunstwerken an dieser Symbolik. Er setzt Zeichen. Zeichen, die einen Zustand der Ruhe und Harmonie erzeugen, aber auch Bewegung und das Vorwärtsstreben verlangen. Seit seiner Kindheit bewegt ihn die Kraft der Symbole. Schon das Aufeinanderfolgen der Buchstaben in Reihen von aaaa’s, bbbbb’s und so weiter hat ihn fasziniert. Dieses Erinnerung  - vielleicht auch die Erinnerung an seine Kindheit überhaupt- treibt ihn heute an, diese Zeichenfolgen wieder aufzunehmen.

Der Mensch ist das einzige Wesen der Natur, das seiner Existenz einen Sinn verleihen kann – dank des symbolischen Denkens. Symbole sind eine Universalsprache der Menschheit. Wenn der Mensch bzw. eine ganze Kultur das symbolische Denken verliert, verliert sich auch deren Sinn.

 

Kriege, Naturkatastrophen aber auch verheerende Epidemien haben den Menschen an den diesen Abgrund der Sinnlosigkeit geführt. Aber gerade an diesem Punkt braucht der Mensch einen Weg der Ordnung. Und so verwundert es nicht, dass es an diesem Weg der Ohnmacht Kräfte gibt, die die Erkenntnis scheinbar gepachtet haben, gottgleich den Weg aus diesem Chaos zu weisen.

 

Aber diese Kräfte schaden, weil sie 1. dem Menschen Gestaltungskraft und bewusste Einflussnahme absprechen und weil sie 2. von einer höheren Macht ausgehen und so den Menschen als ohnmächtig sehen. Damit nehmen sie ihm die Hoffnung und den Mut.

 

Denn Hoffnung ist ein Grundpfeiler des Lebens, nur sie bringt den Menschen weiter auf dem Weg der Erkenntnis. Lothar Thomas lässt seine Arbeiten nicht in Dunkelheit der Mystik, er zeigt uns seine Kunst der Zeichen und Symbole, damit jeder diese Bilder für sich entschlüsselt, jeder die Zeichen selber deutet und sich in seiner Welt der Bilder eigene Welten erdenkt, immer auf Veränderung aus, auf dem Weg nach vorne, auf dem Weg zu neuen Ufern…auf dem Weg der Hoffnung.

 

Und so vermittelt Kunst wie so oft Hoffnung in Zeiten der Dunkelheit. Hoffnung unser Schicksal selber zu bestimmen, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten.

 

Und gerade deshalb ist Kunst systemrelevant, heute und immer schon. Und nicht nur mit Abstand ist Kunst deshalb ansteckend. Viel Erkenntnisfreude beim Deuten der Zeichen in den Kunstwerken von Lothar Thomas wünschen wir allen Besuchern dieser Ausstellung.    Ein ganzes Jahr lang.

 

Michael Pommerening.

Reitwein im März 2024

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© Michael Pommerening KunstRegen 2019