Rita kommt.
Ungewöhnlicher Besuch in den TRAFO Galerien.
Heute eröffnen wir eine Ausstellung mit Arbeiten des in Berlin lebenden Künstlers Sador Weinsclucker. Ungewöhnlich ist die Ausstellung, weil es in den künstlerischen Arbeiten ausschließlich um Rita geht.
Und ungewöhnlich ist die Ausstellung auch deshalb, weil Rita uns intime Einblicke in ihr doch recht rätselhaftes Lebens gibt.
Aber wer um alles in der Welt ist Rita?
Hier möchte ich den Künstler höchstselbst zu Wort kommen lassen:
„Rita nennt sich ein Schädel, der sich seit circa 45 Jahren in meinem Atelier eingenistet hat.
Vielleicht aus Langeweile oder anderen Beweggründen (die niemand nachvollziehen kann), hat Rita vor geraumer Zeit begonnen, ihr Sein in die eigenen Hände zu nehmen und selbst zu gestalten.
Einer Schauspielerin gleich schlüpft sie in diversen Gemälden in die eigenwilligsten Rollen ihrer Phantasiewelt (meist in völliger Selbstüberschätzung), oder gibt Szenen aus ihrem Alltag preis, doch immer die Dramatik der Vergänglichkeit in Vanitas-Bildern meidend.“
Nun ist der Schleier, der sich nebulös um Rita gelegt hat, wenigstens schon etwas gelüftet. Aber was genau will Rita uns aus ihrem Lebensalltag, der oft nicht spektakulär aber immer zauberhaft ist, erzählen?
Und was oder wer ist Vanitas?
Vanitas Symbole in der Kunst kommen recht häufig vor. Vanitas kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Eitelkeit – Sinnlosigkeit, Diesseits und Jenseits. Vergänglichkeit.
„Memento moriendum esse“, raunte ein Sklave in der Antike einst dem Heerführer zu, der sich so im Moment des Triumphs über einen Feind auf seiner Siegerparade jäh an die eigene Endlichkeit erinnern sollte. Häufige Attribute sind der Totenschädel, die erlöschende Kerze, die Sanduhr und die verwelkende Blume.
In der Mitte des 16. Jahrhundert hatte die Vanitas- oder auch momento moritas Symbolik als Untergruppe des Stilllebens im Barock Hochkonjunktur. Es waren Pestepidemien und Kriege, welche den Menschen so eindrucksvoll den Tod als Ende alles Irdischen vor Augen führen sollte.
Auf immer neue Weise versuchten seitdem Künstler den Sinnspruch von der Vergänglichkeit alles Vergänglichen bildlich umzusetzen.
Die Faszination für das Motiv und die Suche nach zeitgemäßen Zugängen setzt sich bis in die Gegenwart fort. Ins Groteske überzeichnete das Ansinnen des künstlerischen Selbstvermarktungsprofis Damien Hirst. Sein schrilles Opus „For the Love of God“ stellt ein aus Platin gegossenen Schädel, besetzt mit 8600 Brillanten dar. Dieses Kunstwerk wurde im August 2007 für 75 Millionen Euro verkauft und ist damit eines der teuerste Gegenwartskunstwerke.
Ob Hells Angels oder der verstorbene Modemacher Alexander McQueen, sie alle benutzten diese nonkonformistischen Motive um sich als Außenseiter in einer reichen Welt der Überdrüssigen zu inszenieren.
Anders der bekennende Genießer und Künstler – oder umgekehrt, oder beides gleichzeitig- wie auch immer hat Sador Weinsclucker das Totenkopfmotiv für sich neu entdeckt. Fern von einer entrückten und todesverklärten Attitüde setzt er einen Schädel in den Mittelpunkt seiner Kunst, der uns zeigen möchte, wie alltäglich normal und zugleich phantastisch sinnlich unser Alltag ist.
Und damit nicht genug, verleiht er diesem Schädel einen Namen und macht damit sogar einen Totenschädel zu unserem Begleiter durch den Alltag. Rita heißt das vom Leben verlassene Objekt, dass diesem Alltag wieder neues Leben einhaucht. Mit dem wir Eintauchen in unsere banalen und sinnlichen Alltagsrituale.
Da ist die Badeente, die Rita in die Schaumwanne mitnimmt, die erloschene Zigarette im Aschenbecher, das rote Lieblingssofa, oder das Blutdruckmessgerät. Sie alle sind die Ingredienzien unseres Lebens, sie gehören einfach dazu ohne das sie jemand in den Kunsthimmel gehoben hat.
Außer Sador Weinsclucker. Der tut das. Aber nicht zur philosophischen Erbauung, sondern um uns zu zeigen, was außerdem noch wichtig im Leben und in der Kunst ist: Der satirische Blick auf diesen unseren Alltag, der uns erst die Chance gibt, die bitteren Seiten zu ertragen.
Mit Satire dem Tragischen begegnen.
Oder um doch noch einmal kurz ins philosophische abzugleiten:
Das Irdische schätzen, weil es endlich ist.
Also liebe Rita, danke doch noch für diese Erkenntnis und Dir Sador für diese Bilder und Einblicke und weiterhin viel Spaß und Genuss am Leben.
(Micha Pommerening/Regenmantel im Mai)
01.04.2023 - 15.05.2023